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  • AutorenbildRose Marie Gasser Rist

Das Schreiben der Bernstein Saga lehrt mich Hingabe und Staunen

Wenn ich auf meine knapp sechs Jahrzehnte, mein Werden als Frau und als Autorin zurückblicke, stechen zwei Jahreszahlen heraus: 1988 und 2016. Und in der Rückschau erkenne ich ein Geflecht aus Fügungen und Begegnungen, die mich staunen lassen.


1988 schipperte ich mit einem polnischen Frachter um den Globus, um nach Australien auszuwandern. Es war ein Ruf ohne schlüssigen Grund. Als ich an einem regnerischen Tag in Brisbane in einer verstaubten Buchhandlung Unterschlupf suchte, sprach mich eine kleine greise Frau in meinem Schweizer Dialekt an. Trude schenkte mir für ein paar Tage Unterschlupf und ihre Geschichte, die meinen Horizont sprengte. Das Auswandern glückte nicht. Zurück in der Schweiz, wurde ich von Existenzsicherung und einem Alltag mit drei Kindern absorbiert. Trudes Weckruf war unhörbar weggesperrt und die Jahre flogen ins Land. Als Trude mir 1998 auf ihrem Sterbebett ein paar Zeilen auf einen Zettel kritzelte, den mir ihre Tochter Anne zukommen ließ, weinte ich ein paar Tage. Über Trude und über einen verlorenen Traum.


Ein paar Monate vor meinem fünfzigsten Geburtstag erkrankte ich 2016 schwer. Weil ich glaubte, nicht mehr lange zu leben, wünschte ich mir zum Runden eine Reise nach Australien. Ich wollte Antworten finden, die ich 1988 nicht bekommen hatte, um mein Leben vor dem Ende zu befrieden. In der Vorbereitung für die zweite Australienreise, erschienen mir in einer Meditation fünf Frauen einer Ahnenreihe, die zu mir sprachen:


«Schreib eine Frauensaga. Erzähle unsere Geschichten, erinnere an die Wurzeln, erwecke das Feuer, ermutige Frauen und Männer, zeige das Gemeinsame auf, inspiriere zum Leben, mache Mut für die Liebe, erinnere an das Gelingen."


Ich hielt es für einen Laune meiner Fantasie, scheuchte sie weg, weil ich ja damit beschäftigt war, die letzte Reise meines Lebens anzutreten. Down Under wurde ich von Trudes Geist, ich kann es nicht anders nennen, zu Schauplätzen des zweiten Weltkrieges geführt. Ein Funke entzündete sich und ich bekam plötzlich große Lust, festzuhalten, was mir begegnete. Nach meiner Rückkehr in die Schweiz begann ich wie eine Besessene zu schreiben. Trudes echte Geschichte fand endlich einen Rahmen und verflocht mit den Recherchen und Eingebungen aus dem Äther zum ersten Roman der Bernstein Saga. Auf wundersame Weise wurde ich gesund, fand auf Anhieb in Cornelia Linder vom Sheema Verlag die richtige Partnerin und 2017 eroberte der Roman TRUDE die Herzen vieler Leserinnen. Der Achtungserfolg und die Lesungen im ganzen deutschsprachigen Raum ließen mich staunen.


Die fünf Frauen Marthe, Trude, Annie, Meilin und Amber begleiten mich heute ständig. Ich sehe die fünf, ihre Partner, Kinder und die viele Nebenfiguren wie in einem Hologram vor meinem geistigen Auge. Man muss sich das wie eine Netflixserie vorstellen, die sich neben meinem Alltag in einer Parallelwelt abspielt. Ich habe die ganze Saga im Kopf und schreibe die fünf fiktiven Lebensgeschichten der Frauen in der Reihenfolge und in der Dringlichkeit nieder, wie sie es mir diktieren.


Urahnin Marthe findet 1880 auf ihrem Weg in eine neue Zukunft in der Bucht von Riga einen Bernstein. Dieser wird von Mutter zu Tochter weitergereicht und gibt der Familiensaga den Namen. Ich glaube an die magische Kraft von Edelsteinen und kaufte mir, bevor ich mit dem Niederschreiben begann, einen baltischen Bernstein. Als ich ihn reinigte und gegen die Sonne hielt, zeigten sich in seinem Inneren drei Flammen. Ich spürte, dass dieser Stein der richtige Begleiter war und trug ihn ab diesem Moment immer beim Schreiben und bei Lesungen auf dem Herzen.


Von TRUDEs Erfolg beflügelt, schrieb ich den Folgeroman AMBER in einem Guss. Ambers weltpolitischen und feministischen Themen lesen sich um einiges sperriger als Trudes Geschichte und der zweite Roman der Saga fand wenig Anklang. Als im September 2018 mein Talisman, der Bernstein beim Herunterfallen in drei Teile zerbrach, stürzte ich in eine tiefe Sinnkrise. Ich stellte mein Schreiben und den Auftrag der Saga in Frage. Monatelang wollte ich nichts mehr von dem Frauenrudel in meinem Kopf hören.


Doch widersetze dich einmal einem kosmischen Plan! MEILIN, die dritte Romanfigur klopfte vehement an. Sie, die Wilde, Unzähmbare, Sinnliche. Schließlich gab ich ihrem Drängen nach und legte mir beim Schreiben die drei Scherben des Bernsteins wieder an den Busen.

In Meilins Geschichte geht es um Sexualität, Zeitreisen, Schwesternverrat, Missbrauch und Herabwürdigung. Aber auch um die Schoßkraft und mentale Stärke einer Frau. Meilin legt den Finger auf die Urwunden des Frauenkollektivs und holt die Heilkraft der Vergebung hervor. Meilins Geschichte forderte alles von mir. Ich fühlte mich zuweilen so zerbrechlich, verletzlich und wund wie der aufgebrochene Stein. Aber ich erstarkte mit Meilins Auferstehen.


Als ich MEILINS Manuskript fertig hatte, wusste ich, dass es Zeit war, den Bernstein wieder zu schließen. Denn er hatte aus seinem Innersten alles offenbart. Der Stein durfte symbolisch wieder heil werden. Für diesen Akt des Versiegelns kam nur die Kunstschmiedin Graciela aus Kolumbien in Frage. Sie weiß, was Aufbruch, Fremdsein und Frausein in der Neuzeit bedeutet. Graciela vollbrachte das Wunder, die drei kaputten Teile mit einer silbernen Meerjungfrau zu fassen und ganz zu machen.

Der Buchmarkt wurde wie alle Branchen durch das Virus tief erschüttert, der Papierpreis schoss in die Höhe und mit der Suche nach der richtigen Coverfrau erlebten Verlegerin Cornelia und ich heftige Turbulenzen. Im Dezember 2022 forderte mitten in der Buchpublikation von Meilin der Abschied meiner Mutter erste Priorität. MEILIN bekam keine öffentliche Buchtaufe und der Roman fand den Weg zur Leserschaft noch nicht.


Die Frauen meiner Bernstein Saga verlangen viel Lebenszeit von mir, schweigen aber, wie ich mein Erdenleben finanziell sichern kann. Auch ich kann wie viele andere AutorInnen nicht vom Romanschreiben leben. Tatsache ist, dass Lesungen wegfallen, weil angeschriebene Buchhandlungen weniger Mittel haben, kaum Mut für Magie aufbringen und auch im Buchhandel die großen Verlage und Medien den Markt bestimmen. Ich suche eine Form, wie ich mein Einkommen sichern und gleichzeitig der Bernstein Saga – die ich als Auftrag des Lebens betrachte – dienen kann. Um Klarheit zu finden, fahre ich zur Leipziger Buchmesse.


Und wieder bekam ich auf wundersame Weise eine Antwort aus dem Kosmos. Im besagten 2016 lernte ich Melanie Lobstädt im Berliner Theater Kosmos bei einer Veranstaltung kennen. Ich erinnerte mich in der Vorbereitung für Leipzig an Melanie und kontaktierte sie für einen Schwatz und Besuch in ihrer Stoffhandlung. Schöne Stoffe machen mich glücklich und waren mit ein Grund, warum Protagonistin Meilin Schneiderin wurde.


Das richtige Gewand auf der Haut beeinflusst Sinnlichkeit, Wohlbefinden und Ausstrahlung. In der richtigen Hülle wohnt die Seele gern. Meilin birgt im Verlauf ihrer Geschichte manche Schätze, die das Wohlsein einer Frau ausmachen. Dass Melanie in ihrem Stoffladen in Leipzig Meilin und mir nun den Rahmen für eine Lesung während der Buchmesse gestaltet, ist erneut eine Fügung, die mich bass staunen lässt.


LESUNG in LEIPZIG | Während der Buchmesse

LAUSCHE DEM LEBEN

Lesung aus MEILIN | Rose Lieder | Matthias Rist & Rose Freitag, 28. April 2023, 17-19 Uhr Im Laden von MELONIE Käthe-Kollwitz-Str. 7-9 | 04109 LEIPZIG Eingang über Gottschedstraße Kollekte


Goldhändchen: https://amoridoro.com

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